Freitag, 15. April 2011

Die Grenzwerte für Strahlung

Die Grenzwerte für Strahlung in Lebensmitteln entstammen einer Schubladenverordnung: 
Die EU kann sie jederzeit hervorzaubern und anpassen – nicht unbedingt zugunsten der Verbraucher.
Die EU musste sich in Sachen Japan zuletzt harte Kritik anhören: Zu lasch seien die Strahlengrenzwerte, die nach Fukushima für Importe aus Japan ausgegeben wurden. 

Zudem würden einheitliche Obergrenzen fehlen. Nun haben sich die Mitgliedsländer auf 
schärfere Werte für japanische Lebensmittel geeinigt – sie gelten ab sofort, aber nur vorrübergehend. Wissenschaftler werden bis zum Sommer prüfen, ob sie gerechtfertigt sind. 
Damit sind zunächst einmal auch hierzulande die strengeren japanischen Maximalwerte für Nahrungsmittel eingeführt. „Deutschland hatte sich mit dem Vorschlag zur Vereinheitlichung 
an die Kommission gewandt, um für die Verbraucher eine nachvollziehbare Regelung zu schaffen“, sagte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU). Die Kontrollen an den EU-Außengrenzen sollen damit „einfacher und effektiver“ werden.

Bis dato gab es keine fixen Grenzwerte, deshalb stützte sich die EU zunächst auf eine Eilverordnung, die nach dem Super-GAU in Tschernobyl 1986 erlassen wurde. Damals lag die Obergrenze für Cäsium-134 und Cäsium-137 im Fall von Milch bei 370 Becquerel 

pro Kilogramm (Bq/kg), und bei 600 Bq/kg für alle anderen Lebensmittel. Ein Jahr 
später erfolgte eine Eilverordnung für zukünftige Notfälle: Nun waren für 
Milch 600 Bq/kg und 1250 für alle anderen Lebensmittel erlaubt.

Diese Werte galten jetzt, knapp ein Vierteljahrhundert später, auch für Importe aus Japan. 

Sie machen zwar nur 0,1 Prozent der nach Deutschland eingeführten Lebensmittel aus. 
Doch auch an Sojasoße, Reis, Algen und Fisch lässt sich erkennen, wie chaotisch die 
Vergabe der Höchstgrenzen erfolgte. Nach einigem Hin und Her einigten sich die EU-Länder 
nun auf 500 Bq/kg für Jod-131 und Cäsium in Milch, für alle anderen Lebensmittel 
gelten 2000 Bq/kg als Limit. Ein Exportstopp wurde nicht ernsthaft erwogen.

Überfällige Kehrtwende
Brüssel vollzieht damit eine Kehrtwende. Erst Ende März konnten Verbraucher eine 

interessante Entwicklung beobachten: Während Japan die Grenzwerte für strahlenbelastete Lebensmittel verschärfte und Spinat oder Milch vom Markt nahm, reagierte die Europäische Kommission erst einmal, indem sie per Eilverordnung die entsprechenden Grenzwerte lockerte. 
Es folgte massive öffentliche Kritik, auch, weil diese Entwicklungen nicht öffentlich 
kommuniziert worden waren.

Schließlich gab die Kommission nach und schwenkte um. Greenpeace ist das nicht genug: Die Umweltschützer forderten erneut niedrigere Grenzwerte. Für Dirk Zimmermann, 

Agrarbiologe von Greenpeace, sind verschärfte Maximalwerte für Japan-Produkte zu kurz gedacht: „Radioaktivität macht nicht an den japanischen Grenzen halt. Die Grenzwerte für pazifischen Fisch, der nur in Ausnahmefällen direkt aus Japan in die EU kommt, fehlen bisher.“ Brüssel gab jedoch Entwarnung: Bisher seien in keinem Mitgliedsland radioaktiv verseuchte Lebensmittelimporte angekommen. Werde dies geschehen, dann würden die Kontrollen 
binnen 48 Stunden verstärkt. Wie das Verbraucherschutzministerium in Berlin mitteilte, 
dürfen bis auf weiteres Lebensmittel aus Japan nur über wenige Kontrollstellen in die EU 
gelangen. Es sei nicht auszuschließen, dass in den kommenden Wochen radioaktive 
Belastungen bei einzelnen Importen aus Japan festgestellt werden könnten, sagte Ilse Aigner. Bislang seien jedoch keine belasteten Waren aus der Krisenregion in Deutschland eingetroffen.

Zwangskontrollen für zwölf Präfekturen
Normalerweise werden in Deutschland jährlich 10 000 Lebensmittel-Stichproben zur Messung 

von Radioaktivität vorgenommen. In besonderen Fällen, wie etwa nach dem Fukushima-Zwischenfall, werden Lebensmittel aus Japan besonders überwacht. Schon im März hatte die Kommission erstmals strengere Regeln für Lebensmittel aus Japan beschlossen: Für zwölf japanische Präfekturen wurden Zwangskontrollen angeordnet. Die Tests auf Radioaktivität 
müssen in Japan erfolgen. Über das Ergebnis wird eine schriftliche Erklärung verlangt. 
In Europa soll es zudem stichprobenartig Untersuchungen geben, auch für Waren aus 
den übrigen 35 Präfekturen.
darüber zu machen, wie in Zukunft europaweit mit Grenzwerten umgegangen werden soll. Spontane Änderungen, insbesondere Lockerungen zur Unzeit, verunsichern den Konsumenten. Denn prinzipiell gilt: Die Inkorporation, also die Aufnahme von übermäßiger Radioaktivität über die Nahrung, bedeutet ein gesundheitliches Problem. Zwar hat jedes Nahrungsmittel von Natur aus einen bestimmten Strahlungswert. Reichern sich darüber hinaus wegen eines atomaren Zwischenfalls weitere Radionuklide im Lebensmittel an, macht es Sinn, genauer hinzuschauen. Denn sind sie erst einmal in den Körper gelangt, können sie sich ablagern, dort weiter strahlen und dadurch Zellen schädigen, mit den bekannten Folgen wie Krebs. Je mehr aufgenommen wird, desto größer die Gefahr. Zwar besteht dieses Risiko vor allem für die Menschen in Japan, sollte es jedoch in Zukunft einmal zu einem Zwischenfall auf europäischem Boden kommen, besteht eine echte Gefahrenlage.

Dauer des Konsums wichtig, nicht nur Höhe
Wie die Grenzwerte für Lebensmittel festgelegt werden, wirkt willkürlich. Experten erstellen 

dazu einen Lebensmittelkorb. In ihn packen sie – virtuell – all die Lebensmittel, die ein Deutscher im Durchschnitt pro Jahr verzehrt. Weil das beispielsweise sehr viele Milchprodukte sind, die insbesondere auch Kinder konsumieren, ist die Obergrenze für Milch niedriger als beispielsweise die für Knoblauch oder Spargel, der nur in kleinen Mengen auf den Teller kommt. Insgesamt stellen die Experten die Lebensmittel so zusammen, dass sie eine gesundheitlich zumutbare Maximalbelastung nicht übersteigen, mit dem Ziel, unter einem Wert von einem Millisievert pro Jahr zu bleiben. Aus diesem Grund darf Wildschwein zum Beispiel auf den Teller kommen, auch wenn es sehr hohe Cäsium-Werte aufweist, denn es wird nur selten und von wenigen Menschen auf den Speiseplan gesetzt. Nachweisbar ist die Strahlenbelastung nur über Lebensmittelproben. Eine direkte Messung mit dem Geigerzähler brächte durch die natürliche Umgebungsstrahlung nur sehr ungenaue Werte.
Quelle  Focus Online 

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